Die russische Regierung legalisiert mit der Verordnung Nr. 299 vom 06.03.2022 N 299 „Über die Änderung von Punkt 2 der Methodik zur Bestimmung von Ausgleichszahlungen an die Rechteinhaber von Patenten, Gebrauchs- und Industriemustern“ die grundsätzlich verbotene Nutzung von gewerblichen Schutzrechten.
Verwehrung des Rechts auf Ausgleichzahlung
Rechteinhaber dürfen für Patentverletzungen keine Ausgleichszahlungen mehr verlangen. Die Regierung wendet dabei einen dogmatischen Kniff an, welcher zwar grundsätzlich die Verletzung von gewerblichen Schutzrechten verbietet, die dafür gesetzlich vorgesehene Ausgleichszahlung aber auf 0% vom Umsatz festsetzt. Betroffene sollten – trotz fehlender Ausgleichszahlung – dennoch gerichtlichen Rechtsschutz suchen, denn nach Aufhebung der Verordnung und Rückkehr der Russischen Föderation zu internationalen Standards, liegt prozessual ein Wiedereröffnungsgrund vor, der Nachzahlungen zu einem späteren Zeitpunkt ermöglicht. Offensichtlich wurde die Verordnung mit heißer Nadel gestrickt und nicht zu Ende gedacht, denn der Patentklau bleibt rechtwidrig, nur die Rechtsfolge der nicht beweispflichtigen Ausgleichszahlung vom Umsatz wird ausgesetzt. Die Geltendmachung von Schadensersatz oder die Geltendmachung einer umsatzunabhängigen Ausgleichzahlung (z.B. die gesetzlich vorgesehene Ausgleichzahlung für einzelne Rechtsverletzungen von 2-5 Mio RUB) bleibt möglich. Das Signal an die Gerichte ist aber eindeutig und ebnet den Weg des sanktionslosen Rechtsbruchs im gewerblichen Rechtsschutz. Angesichts der bisher teuer subventionierten Importsubstitution und des dringenden benötigten Technologietransfers bietet der aktuelle Wirtschaftskrieg eine ideale Gelegenheit zur Selbstbedienung. Leider dürfte die Maßnahme ihre Abschreckung nicht verfehlen und Russland weiter von Technologien abkoppeln.
Reaktion der Gerichte
In einem ersten Berufungsurteil hat sich das Russische Gericht für gewerblichen Rechtsschutz tatsächlich für die Anwendung der Verordnung ausgesprochen, diese aber auf den engen Anwendungsbereich von Patenten, Gebrauchs- und Geschmacksmustern begrenzt, d.h. Markenrechte wären nicht betroffen (Berufungsurteil 01.04.2022 № А51-20464/2021). Ergänzend führt es aus, dass das überprüfte erstinstanzliche Urteil vor Verabschiedung der Verordnung erlassen wurde, was die Anwendung der Verordnung ausschließe. Offen bleibt die Frage, ob damit auf den Zeitpunkt der Verletzungshandlung oder auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abzustellen ist. Für ersteres spricht aus unserer Sicht die Bedeutung und Klarheit der materiellen Rechtsverletzung gegenüber des zeitlich manipulierbaren Prozessverlaufs, die Analogie mit den Verjährungsvorschriften (der Anspruch besteht dem Grunde nach, ist aber nicht durchsetzbar) und die Möglichkeit der Erhebung der Feststellungsklage auf Feststellung der Rechtsverletzung ohne Beanspruchung einer Ausgleichszahlung.