Auch die russische Justiz wurde auf die neuen Tatsachen nach dem 23.02.2022 eingestellt. Abgesehen von den üblichen Präsidialerlassen, die früher geltendes Recht per Handstreich außer Kraft setzen (z.B. Rechte von „unfreundlichen“ Ausländern an geistigem Eigentum) oder der seit längerem staatlich geförderten Verletzung des internationalen Handelsrechts (Stichwort: diskriminierende Importsubstitution, etwa durch willkürliche Zollverfahren oder selektive Kreditvergabe an Käufer einheimischer Produkte), sind auch Fälle von Endlosprozessen bekannt, um den Rechtssuchenden zu zermürben bis hin zu „Richter-Rochaden“, um die gewünschte Entscheidung zu Gunsten von einheimischen Marktteilnehmern zu erwirken.
Umso bemerkenswerter ist, dass das Moskauer Wirtschaftsgericht mit Beschluss vom 05.12.2024 eine deutsche Schiedsgerichtsentscheidung anerkannt und zur Vollstreckung in Russland zugelassen hat.
Noch erstaunlicher ist dabei, dass dem deutschen Schiedsurteil nach russischem Verständnis eigentlich ein Verfahrensmangel anhaftete, denn das Verfahren, einschließlich sämtlicher Prozessverfügungen, wurde per E-Mail durchgeführt, ohne dass sich die Beklagte russische Seite darauf einließ. Dies ist zwar grundsätzlich möglich und legal, russische Gerichte stehen solchen Verfahren allerdings regelmäßig skeptisch gegenüber und verlangen oft einen analogen schriftlichen Zustellungsweis für die Einleitung des Schiedsverfahrens.
Die zuständige Richterin leitet die Kammer schon seit über 10 Jahren, weshalb hier wohl das richterliche Selbstverständnis über den flüchtigen Zeitgeist siegte. Allerdings bleibt zu erwähnen, dass sich das Urteil gegen die russische Tochter der deutschen DHL richtete, also im Endeffekt gegen „unfreundliche“ Anteilseigner. Die Entscheidung fiel zu Gunsten der vom Verfasser vertretenen Klägerin aus Singapur mit indischem Kapital aus.
RA S. Geisthardt