1. Bestandsschutz von Arbeitsvertragen bei Betriebsübergang
Gemäß Art. 75 des russischen Arbeitsgesetzbuches („RusArbG“) geht das russische Arbeitsrecht grundsätzlich von einem Bestandsschutz der zum Betrieb gehörenden Arbeitsverhältnisse bei Betriebsübergang aus. Nach Art. 67 Abs. 2 RusArbG sind drei Tage nach dem Übernahmestichtag mit sämtlichen Arbeitnehmern Arbeitsvertrage in schriftlicher Form auszufertigen. Im Arbeitsbuch ist ein Vermerk über die Namensänderung des Arbeitgebers aufzunehmen (Ziff. 3.2 der Instruktion des Arbeitsministeriums vom 10.10.2003 N 69).
Vor Betriebsübergang kann der Veräußerer, nach Betriebsübergangsstichtag kann der Erwerber betriebsbedingte Kündigungen aussprechen. Bei Bestehen eines Betriebsrates sind Kündigungen erst später möglich. Die Kündigungsfrist für betriebsbedingte Kündigungen beträgt 2 Monate. Die Abfindung beträgt ein Monatsgehalt und zusätzlich 1-2 Gehälter für die Zeit der Arbeitsvermittlung.
Der Bestandsschutz ist dahingehend zu verstehen, dass der Betriebsübergang keinen zusätzlichen Kündigungsgrund gewährt und das Arbeitsverhältnis, d.h. einschließlich der Urlaubs- Überstunden- und Abfindungsansprüche, übergeht, wenn das Arbeitsverhältnis im Übernahmezeitpunkt wirksam ist. Dementsprechend gelten auch die allgemeinen Kündigungsgründe, einschließlich des betriebsbedingten Kündigungsgrundes, fort.
2. Sonderkündigungsrecht gegenüber Geschäftsführer
Das Sonderkündogungsrecht besteht nicht hinsichtlich der Betriebsleitung. Ein Sonderkündigungsrecht besteht für den Erwerber nur hinsichtlich des Geschäftsführers, seines Stellvertreters und des Hauptbuchhalters des Unternehmens. Gemäß Art. 181 des russischen Arbeitsgesetzbuches ist der Erwerber verpflichtet, eine Abfindung in Höhe von drei durchschnittlichen Monatsgehältern zu zahlen. Eine Analogie auf entsprechende Positionen eines Betriebsteils (Betriebsleiter, stellvertretender Betriebsleiter) verbietet sich. Das Sonderkündigungsrecht für Führungspersonal gilt nicht auf Betriebsebene, denn Art. 75 russisches Arbeitsgesetzbuches ist auf den Unternehmensübergang im ganzen (Privatisierung) zugeschnitten und gilt als Sondervorschrift nur für die dort genannten Personen. Diese sind schlicht betriebsbedingt kündbar.
Mit dem Sonderkündigungsrecht wollte der Gesetzgeber bei Privatisierungen ein außerordentliches (fristloses) Kündigungsrecht für das Management der juristischen Person gegen Abfindung (mind. 3 Monatsgehälter) einräumen. Im Normalfall kann nur der Vorstand/Geschäftsführer (als Organ der juristischen Person) jederzeit außerordentlich gegen Abfindung gekündigt werden, da sein Arbeitsplatz praktisch nicht wegfallen kann. Das Sonderkündigungsrecht wird für Privatisierungen/Betriebsübergänge auf den Stellvertreter des Vorstands und auf den Hauptbuchhalter der juristischen Person erweitert, selbst wenn diese Positionen nicht wegfallen. Es kann jedoch nur binnen der ersten drei Monate nach Betriebsübergang ausgeübt werden. Nach Ablauf von drei Monaten bleibt nur die betriebsbedingte Kündigung für die letztgenannten Personen, wenn ihre Positionen entfallen. Für die Betriebsleitung gilt das Sonderkündigungsrecht nicht, da diese nicht die juristische Person leitet, obgleich der Normzweck und die evidente Analogie zwischen Organen eines Unternehmens und der Betriebsleitung als Leitungsmacht über den Betrieb für eine Erweiterung des Sonderkündigungsrechts auf die Betriebsleitung sprechen. Das russische Recht kommt wegen seiner formalistischen Anwendung zu einem anderen Ergebnis und nähert deshalb – wie so oft in der russischen Rechtspraxis – Widersprüche.
Die Aufhebung der Arbeitsverhältnisse ist jederzeit aufgrund Auflösungsvereinbarung möglich. Die Auflösungsvereinbarung setzt als Vertrag die Zustimmung des Mitarbeiters voraus.
3. Versetzung
Der Arbeitsvertrag ist zu kündigen und den Arbeitnehmern eine Endabrechnung ausgehändigt. Die Versetzung kann also nicht durch einen Arbeitsvertragsanhang umgesetzt werden, sondern erfolgt durch den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages.
Die Arbeitnehmer können der Betriebsübernahme widersprechen. Das Arbeitsverhältnis endet dann von Gesetztes wegen.
4. Verfahren bei betriebsbedingten Kündigungen
Die Kündigungsfrist ist eine Ereignisfrist und beträgt 2 Monate. Nach Art. 178 des russischen Arbeitsgesetzbuches ist den Mitarbeitern ein Monatsgehalt als Abfindung und ein Monatsgehalt für die anschließende Arbeitssuche zu zahlen. Ein drittes Gehalt wird für die Zeit der Arbeitssuche nur im Ausnahmefall gezahlt, wenn sich der Arbeitnehmer 2 Wochen nach seinem Ausscheiden an das Arbeitsamt gewandt hatte und eine Genehmigung des Arbeitsamts vorlegt. Besteht ein Betriebsrat, muss dieser allerdings zwei Monate vor Ausspruch der Kündigung benachrichtigt werden (Art. 82). Bei Massenkündigungen muss er sogar drei Monate vorher benachrichtigt werden (Richtlinie des Verfassungsgerichts vom 15.01.2008 N 201-О-П).
Die Voraussetzungen des Bestandsschutzes entsprechen weitestgehend dem deutschen Recht. Der Tatbestand der Übernahme einer Betriebseinheit (Übernahme von Assets, Kunden, Stammbelegschaft) genügt für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem neuen Betriebseigentümer, wenn nicht der Arbeitnehmer der Fortführung widerspricht (Art. 75 ArbGBRus). Folglich müssen auch Arbeitnehmer übernommen werden, die man nicht ausdrücklich übernommen hat, wenn die Arbeitsverhältnissee bei Betriebsübergang wirksam waren. Ähnlich wie im deutschen Recht bleibt dem neuen Betriebsinhaber aber die betriebsbedingte Kündigungsmöglichkeit. Die Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung sind a) Wegfall des Arbeitsplatzes dokumentiert durch Anordnung des Generaldirektors z.B. Stellenplan; b) Es steht kein anderer gleichwertiger Arbeitsplatz zur Verfügung, dokumentiert durch Stellenplan; c) Kündigungserklärung schriftlich mit 2-monatger Kündigungsfrist; d) evtl. Beteiligung des Betriebsrates e) i.d.R. keine Sozialauswahl erforderlich.
Abfindungsanspruche sind pro Verzugstag mit 1/300 des Refinanzierungssatzes der Russischen Zentralbank (schwankend) zu verzinsen (Art. 236 Arbeitsgesetzbuch). VC soll das Fehlen eines Betriebsrates bestätigen. Andernfalls sind betriebsbedingte Kündigungen erst zwei beziehungsweise drei Monate nach dem Übernahmestichtag möglich.
5. Personalkürzung vor Betriebsübernahme
Der Veräußerer ist vor dem Betriebsübergang nicht an betriebsbedingten Kündigungen gehindert. Zum Teil wird diese Ansicht mit Verweis auf Art. 75 Abs. 3 RusArbG bestritten, der betriebsbedingte Kündigungen erst nach der Registrierung des Übernahmevertrags zulasst. Dies bedeutet jedoch nicht, dass des Veräußerer an betriebsbedingten Kündigungen nach Art. 81 Nr. 2 gehindert ist. Denn gemäß Art. 14 Privatisierungsgesetz sind betriebsbedingte Kündigungen vor Vereinbarung eines Sozialplans möglich; nach Vereinbarung eines Sozialplans sind sie noch mit Zustimmung des Erwerbers möglich. Im Übrigen verbietet Art. 75 RusArbG keine betriebsbedingte Kündigung durch den Veräußerer, sondern stellt nur eine Selbstverständlichkeit klar, nämlich, dass der Erwerber erst nach dem Übernahmestichtag selbst Kündigungen aussprechen kann. Davor soll der Erwerber nur Kenntnis über den Mitarbeiterbestand haben. Eine Vereinbarung zur Übernahme einer beschrankten Anzahl von Mitarbeitern sollte deshalb unter Angabe des Auflösungstatbestands (betriebsbedingte Kündigung, Aufhebungsvertrag) getroffen werden. Die Rechtsprechung lässt folglich Bedingungen für die Übernahme von Arbeitsverhältnissen im Übernahmevertrag. Zum Beispiel kann sich der Veräußerer im Übernahmevertrag dazu verpflichten, für konkrete Arbeitnehmer Aufhebungsvereinbarungen zu treffen (Art. 78 RusArbG).
6. Kündigungschutzklagen
Anzumerken ist, dass es in Russland keine Kündigungsschutzklagefristen gibt. Allerdings beträgt die Regelverjährungsfrist für Streitigkeiten aus Arbeitsverhältnissen nur 3 Monate ab Kenntnis oder Kennen Müssens von der Rechtsverletzung. Zudem ist die Streitbereitschaft geringer. Die im Arbeitsrecht typischen Rechtsschutzversicherungen sind in Russland kaum bekannt.