Die Kompetenzen des Generaldirektors ergeben sich aus Art. 40 Abs. 2 GmbHG. Er:
1) handelt im Namen der Gesellschaft ohne besondere Vollmacht, insbesondere vertritt er ihre Interessen und schließt Rechtsgeschäfte ab;
2) erteilt Vollmachten zur Vertretung der Gesellschaft, einschließlich Vollmachten mit dem Recht zur Erteilung von Untervollmachten;
3) erlässt Anordnungen über die Einstellung von Mitarbeitern der Gesellschaft sowie über deren Versetzung und Entlassung, trifft Förderungsmaßnahmen und verhängt Disziplinarmaßnahmen;
4) übt sonstige Befugnisse aus, die gemäß dem GmbHG oder der Satzung der Gesellschaft nicht in die Kompetenz der Gesellschafterversammlung, des Direktorenrates (Aufsichtsrates) und des kollegialen Exekutivorgans fallen.
Ferner obliegt ihm die Leitung der laufenden Tätigkeiten der Gesellschaft, dass heißt der Tätigkeiten die nicht anderen Organen zugewiesen sind oder unter Organvorbehalt stehen (insbesondere die Einberufung und Organisation von Gesellschafterversammlungen, Art. 37 GmbHG; die Führung der Bücher der Gesellschaft; Verfügung über die Konten mit dem Hauptbuchhalter etc.)
1) Vertretungsbefugnis
Bei der Vertretungsbefugnis ist von ganz entscheidender Bedeutung, dass man sich die russische Rechtspraxis zur Vertretungsbefugnis bei der GmbH vergegenwärtigt. Unabhängig davon, ob eine GmbH ein Einpersonen- Exekutivorgan oder ein Einpersonen-Exekutivorgan und ein kollegiales Exekutivorgan hat, gilt, dass nur das Einpersonen-Exekutivorgan die Gesellschaft allein vertreten kann.
Vereinzelt wird vertreten, dass eine gemeinschaftliche Vertretungsbefugnis möglich sei, allerdings nur ergänzend zur Benennung eines einzelbefugten Geschäftsführers. Eine solche Gestaltung der Vertretungsbefugnis geht jedoch an der russischen Rechtspraxis vorbei und ist deshalb zu vermeiden.
Wenn in der russischen Geschäftswelt von einem Rangverhältnis (erster Stellvertreter, zweiter Stellvertreter des Generaldirektors etc.) die Rede ist, so hat dies nichts mit einer Organstellung zu tun. Vielmehr handelt es sich um bevollmächtigte Vertreter des Generaldirektors, deren Rechtsmacht sich nicht aus der Satzung ableitet sondern die kraft einer Vollmacht des Generaldirektors dafür bestellt sind, den Generaldirektor – in der Regel während seiner Abwesenheit – zu vertreten.
Von Satzungsbestimmungen, die eine Gesamtvertretungsbefugnis zusammen mit einem Prokuristen oder sonstigen Bevollmächtigten anordnen, ist dringend abzuraten. Zum einen ist die Prokura in Russland überhaupt nicht bekannt. Zum anderen unterminiert eine solche Bestimmung die gesetzlich gewollte Universal- und Einzelvertretungsbefugnis des Generaldirektors.
Folglich ist die Kontrolle des Exekutivorgans in Russland durch einschränkende Satzungsbestimmungen kaum möglich. Die starre Konstruktion im russischen Recht vermittelt den Gesellschaftern nicht selten ein Gefühl des „Ausgeliefertseins“ gegenüber dem Generaldirektor, dem jedoch kaum entgegengewirkt werden kann. Der Auswahl des Generaldirektors kommt deshalb besondere Bedeutung zu.
2) Geschäftsführungsbefugnis
Von der Vertretungsbefugnis ist die Geschäftsführungsbefugnis zu unterscheiden. Die Vertretungsbefugnis wirkt allein im Außenverhältnis und beschreibt das rechtliche Können des Generaldirektors. Diese ist, wie aufgezeigt, sehr umfassend. Die Geschäftsführungsbefugnis kennzeichnet dagegen das rechtliche Dürfen des Generaldirektors und wirkt im Innenverhältnis der Gesellschaft. Bei Überschreitung der Geschäftsführungsbefugnisse verletzt der Generaldirektor seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft und gegenüber den Gesellschaftern. Im Außenverhältnis indes erlangt ein Vertrag trotz Verletzung von internen Befugnissen Wirksamkeit. Zwar unterscheidet das russische Recht nicht streng zwischen diesen Verhältnissen. Das russische Oberste Wirtschaftsgericht formuliert diesen Ansatz im Ergebnis seit seiner Leitentscheidung von 1996 ähnlich.
Es ist der Ansicht, dass wenn die Befugnisse des Generaldirektors in den Gründungsurkunden beschränkt sind, der Geschäftsführer aber gleichwohl über diese Einschränkungen hinaus tätig wird und die andere Vertragspartei von der begrenzten Geschäftsführungsbefugnis des Geschäftsführers wusste oder evident hätte wissen können (bösgläubig war), ist das Geschäft anfechtbar, vgl. Art. 174 des ZGB. Anfechtbar bedeutet in diesem Zusammenhang die Aufhebung des Geschäfts auf Antrag bei Gericht per Gestaltungsurteil.
Bei der Anfechtung solcher Rechtsgeschäfte muss nachgewiesen werden, dass die andere Partei bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts wusste oder evident hätte wissen können, dass die Geschäftsführungsbefugnis des Vertreters begrenzt war.
Der Hinweis im Vertrag, dass der Generaldirektor auf der Grundlage der Satzung handelt, ist nach der jüngeren Rechtssprechung lediglich ein Indiz für den Beweis, dass die andere Partei von der beschränkten Geschäftsführungsbefugnis wusste, reicht für sich allein aber nicht aus.
© Rechtsanwalt Stefan Geisthardt